Prof. Dr. Mechthild Seithe


Prof. Dr. Mechthild Seithe lud uns am 16.04.2014 für unser zweites Interview zu sich nach Hause ein. Ausgehend von ihrem eigenen, multiprofessionellen Hintergrund sowie den eigenen Erfahrungen als Sozialarbeiterin im Jugendamt und Professorin an der FH Jena griff sie verschiedene Herausforderungen für eine professionelle Praxis in der Sozialen Arbeit auf. Dabei betonte Mechthild Seithe die persönliche Verantwortung von SozialarbeiterInnen für das Markieren professioneller Positionen. Professionalität zeigt sich laut Seithe auch darin, gegebene Bedingungen kritisch zu hinterfragen, ökonomische Zumutungen abzulehnen und nach neuen Lösungen zu suchen, die die Zielgruppen Sozialer Arbeit wieder in den Mittelpunkt stellen.

Das Einzelinterview mit Mechthild Seithe

Impulse

  • In Abhängigkeit des gewählten Professionsverständnisses lässt sich die Frage nach der professionellen Identität Sozialer Arbeit unterschiedlich beantworten. Als Professionsmerkmale Sozialer Arbeit können folgende Punkte benannt werden:
  1. Sozialpädagogische Handlungsansätze sind nicht standardisierbar.
  2. Fallbezogener Einsatz von theoretischem, empirischem und Erfahrungswissen.
  3. Entscheidungen werden unter Handlungszwang und Zeitdruck in diffusen Handlungssituationen getroffen.
  4. SozialarbeiterInnen sind verpflichtet, ihre Haltung und ihre Entscheidungen fachlich begründen zu können.
  5. Handlungen und Entscheidungen werden in fachlicher und ethischer Autonomie entwickelt.
  6. Zwischen Professionellen und KlientInnen bestehen Arbeitsbündnisse.
  • Eckpunkte eines neuen Verständnisses professioneller Sozialer Arbeit:
  1. Ablehnung der Ökonomisierung: Zurückweisung betriebswirtschaftlicher Effizienz- und Effektivitätszwängen, die fachliche Entscheidungen unterminieren. Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen.
  2. Wiederentdeckung der politischen Rolle Sozialer Arbeit: Herausarbeitung eines offensiven, klar und in der Sprache der Sozialpädagogik verfassten sozialwissenschaftlichen Konzeptes als Gegenentwurf zum Menschenbild des aktivierenden Staates.
  3. Kollektive Besinnung auf die professionellen Merkmale der Allzuständigkeit, Alltagsorientierung, professionell zur Verfügung gestellten Solidarität und ganzheitlichen Problembearbeitung.
  4. Stärkung des Klientenmandats: Verpflichtung zu Parteilichkeit hinsichtlich der Rechte und Bedarfe von durch die Gesellschaft benachteiligten Personen(gruppen) unter Bezugnahme auf einen ethischen Kodex.
  5. Konsequente Umsetzung sozialpädagogischer Handlungsstrategien: Partizipation, Ergebnisoffenheit, Methodenoffenheit und Motivationsarbeit als professionelle Leitgedanken, die persönliche Entwicklungs- und Lernprozesse ermöglichen.
  6. Wiedererlangung fachlicher Autonomie: eigene Definitionshoheit Sozialer Arbeit hinsichtlich der Ziele und Methoden unter Berufung auf einen demokratisch legitimierten, fachlichen Kodex.
  • Professionelles Selbstverständnis beinhaltet die selbstbewusste, überzeugende Darstellung der eigenen Kompetenzen und bei Bedarf verschiedene Formen des Widerstandes.
  • Notwendigkeit eines solidarischen, vernetzten und organisierten Handelns kritischer SozialarbeiterInnen.

 Seithe, M. [2012]: Schwarzbuch Soziale Arbeit. 2., durchg. u. erw. Aufl. Wiesbaden: VS.

Biografische Daten

  • 1948 geb.
  • Psychologin und Sozialarbeiterin mit langjähriger Praxiserfahrung in der Erziehungsberatung und der Kinder- und Jugendhilfe
  • 1993-2011 Professorin für Sozialpädagogik an der FH Jena
  • Mitbegründerin des "Unabhängigen Forum kritische Soziale Arbeit"